Einleitung
Schon 2005 waren die Gewinne der deutschen GroßunÂternehmen so hoch wie nie zuvor in der deutschen WirtÂschaftsgeschichte. 2006 wurden sie noch einmal überÂboten. Die Strategie der Konzerne, alle Energie auf die Kern-geschäfte zu fokussieren, scheint sich auszuzahlen – für die Managements und die Shareholder. Die bei weitem höchsten Margen fuhren diejenigen Konzerne ein, die mit Öl und Gas handeln. Die Mineralölkonzerne weltweit und die Energiekonzerne hierzulande sind die größten Profiteure. Von Krise keine Spur.
Und die Kerngeschäfte werden durch weitere AkquisitioÂnen ausgebaut. Wo man im Inland bereits im Markt eine Spitzenposition einnimmt und an kartell-rechtliche GrenÂzen stößt, wird im Ausland in großem Stil zugekauft, so wie seit dem Boom-Jahr 2000 nicht mehr. Auf dem neu in Schwung gekommenen weltweiten Fusionskarussell sitzen die deutschen Global Player auf privilegierten Plätzen.
Adidas kaufte für 3,8 Mrd. E Reebok und ist Nike dicht auf den Fersen. Linde erwarb für 13 Mrd. E den britiÂschen Industriegasehersteller BOC und ist mit einem Umsatzvolumen von 12 Mrd. E größter Anbieter auf dem Weltmarkt. Für 5,5 Mrd. E erwarb die Deutsche Post nach der Mammutübernahme der DHL auch noch den britischen Logistiker Exel. BASF akquirierte gegen viel Wider-stand für 4,4 Mrd. E den US-amerikanischen KaÂtalysatorenhersteller Engelhardt. MAN will für knapp 10 Mrd. E die schwedische Scania-Gruppe übernehÂmen, um die europaweite Nummer eins unter den Lkw- Produzenten zu werden. Merck kauft für über 10 Mrd. E den Schweizer Mitbewerber Serono. Und mit einem Transaktionsvolumen von insgesamt über 45 Mrd. E greift der E.ON-Konzern nach der spanischen Endesa, um zum größten Energiekonzern der Welt aufzusteigen. Die Kassen sind so voll, dass die meisten Ãœbernahmen in bar gezahlt werden.
Das gleiche Bild in Deutschland: Der Versicherungskonzern Gerling wurde von der Talanx-Gruppe geschluckt, der Immobilienfinanzierer Eurohypo für 5,5 Mrd. E von der Commerzbank, das ertragsstarke Pharmaunternehmen Schering in einem Bieterkampf gegen Merck für 16,7 Mrd. E vom Bayer-Konzern. In eiÂnem weiteren Schritt kaufte Siemens von Bayer für 4,2 Mrd. E deren Diagnostik-Sparte, BASF für 2,8 Mrd. E von der RAG die Degussa-Bauchemie. Die Liste ließe sich beÂliebig fortsetzen.
Die großen deutschen Unternehmen sind auf der Suche nach Anlagen für ihre überschüssigen Milliarden, die schwindelerregenden Gewinne wollen investiert werden. Das geschieht teilweise durch den seit einigen Jahren in Mode ge-kommenen Rückkauf eigener Aktien. Von »Kriegskasse« ist die Rede, von neuer »AkquisitionsÂwährung«. Zum Ausbau der Kernkompetenzen werden gigantische Akquisitionsangebote für Unternehmen am Aktienmarkt gemacht, feindliche Ãœbernahmen eingeÂschlossen. Und es gibt satte Dividenden. 2005 wurden von den DAX-Unternehmen an ihre Aktionäre über 21 Mrd. E gezahlt, 6 Mrd. E mehr als im Spitzenjahr 2000.
Die Managements und Aktionäre jubeln im Angesicht gewaltiger Profite, satter Dividenden, prall gefüllter KasÂsen. »Cash is King« nannte das der aktuelle KanzlerinÂnenberater und Aufsichtsratsvorsitzende der Siemens AG, Heinrich von Pierer.
Man mag sie eigentlich nicht mehr hören, diese dauernÂden Anglizismen der Managements – »Top Fit«, »Fit4More«, »Go for Profit«, »For Motion« –, die doch nur immer das Gleiche beinhalten: UmstrukturierungsÂprogramme, Kostensenkungsmaßnahmen, StandortverÂlagerungen, Arbeitsplatzabbau.
Und die WirtschaftsÂpresse multipliziert diese, vielfach von Unternehmensbe-ratungsfirmen kreierten »programmaÂtischen Schlagworte« vergleichsweise ungefiltert als AllÂheilbringer für die Wirtschaft und den Standort DeutschÂland. Die Unternehmen müssten sich »für den Wettbewerb fit machen« heißt es da nahezu unisono, um die »Herausforderungen der Zukunft zu meistern«.
Mitte 2006 verkündete die Allianz den Abbau von rund 7.500 Stellen und die Schließung zahlreicher Standorte, die Deutsche Bank hat bei sich mehr als 6.000 überflüssige Mitarbeiter ausgemacht. Volkswagen bat 14.000 BeÂschäftigte zum Gehen, DaimlerChrysler 16.000 und die immer noch mehrheitlich in staatlichem Besitz befindliÂche Deutsche Telekom gar 32.000. Zehntausende SieÂmens-Beschäftigte mussten ihr Unternehmen verlassen oder wurden mit ganzen Konzernteilen verkauft. Auch Ãœbernahmen und Fusionen haben ihren Preis. Die neue Bayer Schering Pharma AG kann nun getrost auf 6.000 Mitarbeiter verzichten, der frühere Gerling-Konzern schrumpft unter dem neuen Dach der Talanx um einige tausend Beschäftigte. Meist über Abfindungen, AltersÂteilzeit und Vorruhestandsregelungen. Das kostet die Unternehmen einmalig richtig viel Geld, aber dann spruÂdeln die Gewinne umso üppiger.
Das alles seien notwendige Maßnahmen im »Kampf ums Ãœberleben«, wollen einem die ÖffentlichkeitshandÂwerker der Unternehmen weismachen, was nicht selten unkritisiert von den Wirtschaftsjournalisten übernommen wird. »2005 brachte die bedrückende Erkenntnis, dass Firmen gute Gewinne erzielen und trotzdem ArbeitsplätÂze streichen – weil sie keine andere Wahl haben«, folÂgerte die »FAZ« (28.12.05), fügte allerdings hinzu: »Entlassungen entschul-digen sie mit dem Hinweis auf die Globalisierung, die Kosten für Altersteilzeit und Frühverrentung überlassen sie zum Teil dem Staat.«
Die Managements wollen zurück zur 40-Stunden-WoÂche, möglichst ohne Lohnausgleich, propagieren flexiÂblere Arbeitszeiten, die Wiedereinführung der SamsÂtagsarbeit und erhöhen den Rationalisierungsdruck.
Und wie reagiert die Politik, wie die Gewerkschaften? Gibt es überhaupt noch eine Instanz, die sich zutraut, regulierend in den ungebremsten Wirtschafts-fluss einzuÂgreifen? Die großen Unternehmen entziehen sich immer ent-schiedener dem Zugriff nationaler Politiken und verÂabschieden sich damit zunehmend von gesellschaftliÂchen Verpflichtungen. Sie stellen immer radikaler geÂwerkschaftliche Kompetenz in Frage, die Flächentarifverträge, die Mitbe-stimmungsinstrumentariÂen. Der Trend zu europäischen Aktiengesellschaften, so wie ihn beispielsweise die Allianz AG (demnächst AlliÂanz SE) verfolgt, scheint die Tendenz weiter zu verÂschärfen, konkrete nationale Mitbestimmungs- und Regulierungsmaßnahmen zu umgehen.
Die Wirtschaftspolitik der großen Koalition zeichnet sich durch Stillstand und blumige Reden aus. Eine aktive Wirtschaftspolitik, die Rahmen absteckt und Regeln forÂmuliert, findet nicht mehr statt. Deutsche WirtschaftspoÂlitik be-schränkt sich auf Geschenke an die GroßunterÂnehmen und die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Dass die gesamtwirtschaftliche Lage hierzulande 2006/2007 denÂnoch in besserem Licht erscheint, liegt daran, dass die umstrittenen Reformen der rot-grünen VorgängerregieÂrung Wirkung zeigen, die Welt-wirtschaft Fahrt aufnimmt, die meisten gesellschaftlichen Gruppen sich in LohnzuÂrückhaltung üben und es derzeit keine Opposition gibt, die den Wirtschaftsstandort Deutschland niederredet.
Und noch eine Tendenz: Finanzinvestoren, meist aus dem angelsächsischen Raum, sind hierzulande auf dem Vormarsch. Nachdem im Zuge der Konzen-tration auf die Kernkompetenzen der Großunternehmen bereits viele als peripher definierte Teilbereiche in die Fänge von Finanzinvestoren geraten sind, greifen die FondsÂgesellschaften jetzt zunehmend auch nach UnternehÂmen des Mittelstandes. Immer mehr FamilienunternehÂmen öffnen sich Investoren und verkaufen. Teilweise weil Familientraditionen zerbrechen, die NachfolgefraÂgen ungeregelt sind und die Enkelgeneration endlich Geld sehen will. Aber auch bei den deutschen KonzernÂperlen vergrößern die Investoren stetig ihren Einfluss. Zahlreiche Private-Equity-Fonds beschäftigen inzwischen mehr Mitarbeiter als so manches deutsche Großunternehmen.
Die neue, vollkommen überarbeitete Ausgabe von »Wem gehört die Republik?« beschäftigt sich mit dem Widerspruch von Milliardengewinnen einerseits und Massenentlassungen andererseits. Das Buch charakteÂrisiert die aktuellen Fusionen und wirft ein Licht auf die gigantischen Geldströme der großen Finanzinvestoren. Das Buch enthält auch 2006/2007 wieder ein ManageÂment-Ranking in der Skala von einem Stern (»sehr schlecht«) bis zu fünf Sternen (»sehr gut«). Dabei wird wieder versucht, wirtschaftlichen Erfolg und gesellÂschaftliche Verantwortung gleichermaßen zu bewerten. Das wird zunehmend schwieriger, denn bei immer mehr Konzernen klaffen die beiden Parameter geradezu unÂvereinbar auseinander. Auch das wirft ein bezeichnenÂdes Licht auf die neue deutsche Wirtschaftskultur.
Köln, im Oktober 2006
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