Samstag,
20. April 2024

Prolog

So könnte Ihr Alltag demnächst aussehen: Sie werden morgens geweckt durch eine sich einschmeichelnde Männerstimme des privaten Rundfunks, garniert und unterbrochen durch einen Schwall an Werbung und den eingestreuten Nachrichten "sponsored by Becks". Sie präparieren Ihre Kinder für den Tag. Als erstes liefern sie Ihren Sohn in der Grundschule ab, die seit neuestem "Microsoft-Schule" heißt, anschließend bringen sie die jüngere Tochter in die "Alete-Kita".

Die Schule Ihres Sohnes wird seit geraumer Zeit finanziert und ausgestattet vom weltweit größten Software-Hersteller, der auch die Lehrer ausbildet und bezahlt, die wegen der neuen Zugehörigkeit alle einen Computer-Bottom am Revers tragen. Der Kindergarten hingegen kostet sie eine Stange Geld. Er ist privat organisiert, die Mittel der Stadt reichen hinten und vorne nicht, und auch der Kinderbreihersteller finanziert die Ganztagsbetreuung nur unzureichend. Aber sie benötigen eine ausgiebige Betreuung, schließlich wollen sie ja wenigstens an drei Tagen die Woche ihren erlernten Beruf ausüben. Weshalb denn sonst haben sie fünf Jahre lang studiert an der "Universität zu Köln", die seit  kurzem "Universität Vodafone" heißt und ihr gesamtes Auftreten in Rot und Weiß hält. So wie die "Telekom-Universität" in Bonn mit ihrem Magenta oder die Düsseldorfer "DHL-Hochschule" in Gelbrot. Deren Lehrstühle für Telekommunikation und Logistik gelten als "exzellent", die Manager der  Unternehmen dominieren die neuen Uni-Aufsichtsräte. Wer zahlt, bestimmt. Das NRW eigene "Hochschulfreiheitsgesetz" hat es möglich gemacht. 

Die  Kinder sind versorgt. Gegessen wird in der "McDonalds-Kitchen" der neuen offenen Ganztagsschule. Besonders wert wird auf den "ausgewogenen" Hamburger gelegt. Und hinterher geht es in die "Haribo-AG" für musikalische Früherziehung. Das nächste Schulfest richtet übrigens "Granini" aus. Mit der U-Bahn, die seit kurzem unter dem Logo "AXA-Express" nicht nur sichere, sondern auch "versicherte" Mobilität garantiert, fahren Sie in die Innenstadt, um schnell einige Erledigungen zu absolvieren. In der "Bertelsmann-Service-Agentur Cologne", dem früheren Bezirksrathaus, lassen Sie ihren Personal-ausweis verlängern – es kostet ein wenig mehr, geht dafür im Gegensatz zu früher dank der freundlich bemühten "Arvato"-Mitarbeiter aber doppelt so rasch. Die "alten" Angestellten sind längst in den vorzeitigen Ruhestand entlassen oder wegrationalisiert worden. Jetzt ist alles auf "Arvato" getrimmt. Kurzzeitverträge, längere Arbeitszeiten, weniger Geld. 

Für Sie bedeutet das Zeitersparnis, um noch schnell die zuvor bestellten Karten für die "Hochtief-Oper" am Freitag und die Tickets für die "Siemens-Philharmonie" abzuholen, wo am Sonntag die "Bayerischen Löwenbräu-Philharmoniker" aufspielen sollen. Die Karten sind ein Geschenk an Ihren Mann, der zwischen den Philharmonikern, einem Besuch in der Oper oder dem Fußballkick im "Rhein-Energie-Stadion" wählen konnte.

Gegenüber der "4711-Plaza", dem früheren Neumarkt, kaufen sie noch schnell für den Abend ein und holen sich den neuen Katalog des "Postbank-Bildungscenters", der alten Volkshochschule. Dann geht es mit dem "Kamps-Brot-Express" in den Stadtteil "Nippes – sponsored by Ford" mit seinen endlich gut asphaltierten Straßen, wo sie im ehemaligen St. Vinzenz-Krankenhaus, der heutigen "Helios-Turboklinik" noch schnell eine alte Freundin am Krankenbett besuchen wollen. Natürlich privat versichert. Ihre Freundin wäre lieber in das Krankenhaus ihrer Wahl im Süden der Stadt gegangen, in dem Viertel, in dem sie wohnt, aber das ging wegen der Exklusiverträge ihrer Versicherung mit der privaten Klinik nicht.

Den anstrengenden Tag voller Lauferei und Organisation lassen sie abends vor dem Fernseher ausklingen. Die Politiksendung direkt aus dem "Daimler-Reichstag" steht auf dem Programm. "Daimler TV" berichtet regelmäßig über die fünf von der Industrie gesponserten Parteien im Deutschen Bundestag – der "kritische Entertainment-Talk". Anschließend ein Doku-Drama aus dem früheren städtischen Knast, der heutigen "Haftanstalt B+B" mit dem dazu-gehörigen "de Beukelaer -Sherffs". Den Sheriff-Stern ziert nun ein Keks. Alles für die Sinne, alles zur Entspannung. Und bevor Sie abends zu Bett gehen, fragen Sie sich: Wann privatisiere ich mich selbst? Wer zahlt mich, wenn ich meinen Namen mit einem Firmenlogo kombiniere? Wenn ich mich verkaufe? "Allianz-Meier", "Spaten-Huber" oder "Gaffel-Schramma".

Nichts ist mehr sicher vor den Privatisierern. Deutschland befindet sich im Privatisierungsrausch. In Zeiten nahezu bankrotter kommunaler Haushalte und notorisch klammer Kassen wird verkauft, was nicht niet- und nagelfest ist. Da werden alle Skrupel und Sentimentalitäten über Bord geworfen, da wird vielfach jede ökonomische Vernunft ausgeblendet.

Stadträte, Bürgermeister und Kommunalpolitiker aller Couleur fühlen sich auf der sicheren Seite, wenn sie zur Doktrin erheben: Alles muss raus! Schließlich war das ja auch die Devise der rot-grünen Bundespolitik und schon immer Teil des ideologischen Repertoires der Konservativen und der Wirtschaftsliberalen. Und jetzt der Großen Koalition. Was für den Bund gilt, trägt auch für die Länder. In Hessen beispielsweise wird der gesamte Landesbesitz zur Dis-position gestellt, alles, was nicht ausdrücklich seitens der Verfassung als unveräußerliches Gut geschützt ist. Selbst die Universitätskliniken wurden jetzt an private Träger verkauft – und mit ihnen natürlich auch Forschung und Lehre.

Und was die Bundesländer vorexerzieren, kann für Städte und Kommunen nur richtig sein. Denn die Privatisierer im Großen wie im Kleinen hangeln sich an immer der gleichen Argumentationskette entlang. Privatisierung gilt als billiger und bürgernäher, denn private Betreiber seien unbürokratischer, ent-scheidungsfreudiger, effizienter und natürlich wirtschaftlicher. Vor allem auch: Die Privaten hätten mehr Kapitalquellen zur Verfügung, aus denen sie dann größere Investitionen tätigen könnten. Und welches Krankenhaus will das nicht: immer auf dem neuesten technischen Stand sein, modernstes Equipment anbieten? Welche Schule möchte nicht schmuck daherkommen und das triste Fassadengrau hinter sich lassen? Oder welches Schwimmbad lässt sich schon gern das Wasser abgraben?

Im Umkehrschluss geißeln sich die Städte und Gemeinden selbst: Sie bezichtigen sich vielfach der Unrentabilität, der Ineffizienz und mangelnder Kundenfreundlichkeit. Schlicht: der eigenen und der in den Strukturen liegenden Unfähigkeit. Wer so argumentiert, offenbart nicht nur leere Kassen, sondern stellt sich noch selbst eine ökonomische Bankrotterklärung aus. Aber all das hält nur dafür her, um die "Flucht ins Private" zu rechtfertigen: vor sich, dem kommunalen Gewissen und den Wählern. Es soll endlich Schluss sein mit dem krampfhaften Gehangel am finanziellen Limit von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr. Und mit dem immer weiteren Abrutschen in die Schuldenfalle. Politiker schwenken freudig ein auf den "Freiheitspfad" der Marktapologeten, deren immer gleiche Formel lautet: Der Staat bedeutet Bürokratie, der Markt Effizienz, alles Öffentliche ist teuer, alles Private billig. Die Fanfare: Es lebe der Markt – und natürlich die Rendite.

Freilich, ein Großteil der politischen Entscheidungsträger agiert nicht nur im Glauben daran, dass der Markt alles besser richten kann als die öffentliche Hand. Vielfach geht es schlicht und ausschließlich ums Geld. Da wird dem Markt auch gerne das sogenannte "Tafelsilber" angeboten, die Perlen und Schätze in Staats-, Landes- oder städtischem Besitz, mit denen sich richtig Kasse machen lässt. Da versilbern Städte ihre Stadtwerke und Energiebeteiligungen oder ihre Wohnungsbestände. Wobei doch kommunaler Besitz eigentlich das Eigentum der Bürger ist, das gewählte Politiker nur auf Zeit verwalten. Düsseldorf und Dresden hier als Beispiel. Das schwemmt natürlich einmalig einen Batzen Euros in die Kämmererkassen, stopft Löcher und bringt zwischenzeitliche fiskalische Erholung. Aber: Die langfristigen regelmäßigen Einnahmen aus der lukrativen Strom- und Gasversorgung beispielsweise bleiben dann in Zukunft aus. Einmal verkauft ist für immer weg.

Aus allen diesen Notlagen und "Sachzwängen" heraus, ganz wie man will, veräußerten – oder wie die Kritiker sagen: verscherbelten – deutsche Städte und Gemeinden 2006 für über sechs Milliarden Euro Vermögen, wie gesagt, das Vermögen der Bürger und der Steuerzahler.

Das kommt nicht von ungefähr. Das öffentliche Vermögen in der Bundesre-publik war traditionell sehr umfangreich, mit umfassenden Aufgaben versehen – aus sehr guten Gründen, die alle auf den Gedanken des Sozialstaates zurückgehen. Dazu gehören Krankenhäuser, die Wasserversorgung, die Müllabfuhr, Wohnungen, Messehallen, der Schulhausbau, der öffentliche Nahverkehr.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts stand als eherner politischer Grundsatz fest, dass der Staat in seinen unterschiedlichen Organen für die Wohlfahrt seiner Bürger sorgt. Wenn man sich diese Situation vor Augen führt, begreift man, welch grundlegender Wandel der politischen Kultur sich in der Pri-vatisierung verbirgt. Es geht nicht um eine kurzfristige Verschiebung der Eigentumsverhältnisse, sondern um eine grundsätzliche Neupositionierung des Verhältnisses von Staat und Bürger.

Anders gesagt: Der nach wie vor von den Bürgern getragene und finanzierte Staat zieht sich aus einem großen Teil seiner Verantwortung zurück und überlässt seine Bürger den Launen des Marktes. Damit macht sich der Staat zunehmend überflüssig. Und wenn sich politische Teilhabe nur mehr auf die alle vier Jahre stattfindende Wahl beschränkt, dann droht uns ein viel schlimmeres Szenario: Die demokratische Staatsidee läuft über kurz oder lang auf Grund.

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